Die Benetton-Kontroverse

Bigotte Zensoren bestehen darauf, dass Werbung nur Heile-Welt-Bilder zeigen darf - Doch das Bundesverfassungsgericht sieht die Sache anders. Die "Vereinigten Farben von Benetton" (United Colors of Benetton) standen in Deutschland erneut vor Gericht. Nachdem der Bundesgerichtshof 1995 drei Benetton-Bilder, darunter das einer todgeweihten Ente im Ölteppich, auf Antrag der "Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs" für sitten- und wettbewerbswidrig erklärt hatte, lag die Sache Ende 2000 vor dem Bundesverfassungsgericht. Auf Antrag des "Stern" hat es entschieden, dass das Bilderverbot gegen die Meinungs- und Pressefreiheit verstieß, dass die Farben von Benetton also von Grundrechts wegen leuchten durften. Die Ente in Öl, fotografiert von Steve McCurry, erschien 1992, im gleichen Jahr wie das Bild eines sterbenden Aids-Patienten im Kreis seiner Familie, fotografiert von Therese Frair. 1993/94 kamen Oliviero Toscanis umstrittene Motive: der nackte Hintern mit "HIV-positiv"-Stempel, die blut- und dreckgetränkte Kleidung eines in Bosnien getöteten Soldaten. Die Aufregung um diese bewegenden Motive ist merkwürdig. Worum geht es eigentlich?

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Zum Tode verurteilt

In den USA liegt die Sache ziemlich klar. Dort zeigte Benetton im Jahr 2000 die Porträts von Todeskandidaten, zum Tode verurteilten Verbrechern. Indem die Bilder eindrücklich in Erinnerung rufen, dass es sich auch bei diesen Menschen um Menschen handelt (genau genommen um Männer), nehmen sie klar Stellung gegen die Todesstrafe. Eine solche Stellungnahme fordert die Befürworter heraus, und da die Todesstrafe moralisch kontrovers ist, muss jeder Teilnehmer der Kontroverse damit rechnen, dass ihm Unmoral vorgeworfen wird. In diesem Fall operieren die Kopf-ab-Apostel mit den Angehörigen der Opfer jener Verbrecher, die angeblich durch das Abbilden der Täter gedemütigt würden. In Deutschland stellt sich die Kontroverse anders dar. Keiner der Benetton-Gegner tritt offen dafür ein, Ölteppiche in Kauf zu nehmen, Aids-Kranke und HIV-Positive wegzuschließen, Soldaten bedenkenlos zu verheizen oder Kinder in Entwicklungs­ländern auszubeuten. Auch unterscheiden sich die hier zu Lande angegriffenen oder verbotenen Motive in einem wesentlichen Punkt von denen der Todeskandidaten-Reihe: Sie enthalten keinen Text außer dem Motto "United Colors of Benetton". Die Bilder der Todeskandidaten tragen dazu die Schlagzeile "Sentenced to death" ("Zum Tode verurteilt") und weiteren erklärenden Text.

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Sittenwidrige Werbung

Benetton-Plakat: sterbender Aids-Patient, Familie (Frair 1992)

Benetton-Plakat mit sterbendem Aids-Patienten und Familie (Foto: Therese Frair, 1992)

Cornelia von Gierke als berufene Schützerin des lauteren Wettbewerbs begründete vor dem Bundesverfassungsgericht, was da der Sitte widerspricht: Erst auf den zweiten Blick erkenne man, dass es sich um Werbung handle. Bevor der Betrachter das durchschaut habe, habe ihn das Motiv bereits emotional aufgerüttelt und gezwungen, sich mit der Benetton-Werbung auseinander zu setzen. Der Bundesgerichtshof hatte 1995 geurteilt: "Durch die Abbildung realen Leids will die Beklagte lediglich erreichen, dass ihr Name im Gespräch der Verbraucher bleibt." Werben mit realem Leid - das ist sittenwidrig. In der Tat, Sitte ist es nicht. Sitte ist es, dass die Werbung eine künstlich heile Welt abbildet, von der jeder weiß, dass sie erlogen ist. Trotzdem fallen die zitierten Begründungen sofort in sich zusammen, wenn man die Fotos von McCurry, Frair und Toscani als Fotokunst betrachtet, die dank des großzügigen Sponsors Benetton groß- und vielflächig in den öffentlichen Raum gebracht wurde. Dann ist klar: Die Bilder zwingen den Betrachter nicht, sich mit Benetton-Werbung auseinander zu setzen, sie zwingen ihn, sich mit ihren Themen auseinander zu setzen: Ölpest, Aids, Krieg, Ausbeutung, Todesstrafe. Dann ist auch klar: Benetton wollte eben nicht nur erreichen, dass sein Name im Gespräch bleibt; Benetton wollte erreichen, dass die Menschen anders als bisher mit diesen Themen umgehen. Luciano Benetton wollte und will offenbar die Welt verändern.

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Die Lauterkeit des Wettbewerbs

Das aber glauben ihm die Lauterkeitsschützer nicht. Sie können sich, wahrscheinlich von sich auf andere schließend, nicht vorstellen, dass ein werbetreibender Unternehmer auch noch anderes im Sinn haben könnte als seinen Umsatz. Mit Lauterkeit des Wettbewerbs ist offenbar gemeint, dass in das Umsatzmotiv der Wettbewerber nichts Artfremdes hineingemischt werde. Ökonomie und Politik, Ökonomie und humanitäres Engagement - das darf sich niemals vermischen. Benetton hat eine Tür aufgestoßen. Er hat gezeigt, dass ein Unternehmer, der Geld hat, die riesige Gesamtfläche kommerzieller Plakatwände und Anzeigenseiten auch für sinnvollere, wirksamere Aussagen nützen könnte als "Mein eon ist schöner als deins". Dort wittern Konservative eine große Gefahr. Um die Tür wieder zu schließen, unterstellen sie Benetton moralische Unlauterkeit, Missbrauch menschlichen und tierischen Leids für schnöde Profitgier. Merkwürdig bigott ist das, weil die gleichen Menschen, die von lauterem Wettbewerb reden und von der heilsamen Kraft des Marktes, mit ihren Angriffen auf Benetton indirekt zu erkennen geben, dass sie das treibende Motiv des Wettbewerbs, die Profitgier, selbst für verwerflich halten. Wenn der Bundesgerichtshof sagt, Benetton habe "lediglich" erreichen wollen, dass sein Name im Gespräch bleibt, definiert er damit dieses Ziel als ein niederes Ziel. Wenn Wettbewerb aber etwas Niederes, Erbärmliches ist, wie kann er dann jemals lauter sein? Und wenn es keinen lauteren Wettbewerb gibt, wie kann es dann unlauteren geben?

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Die Farben von Benetton

Benetton-Plakat: Ente im Ölteppich (McCurry 1992)

Benetton-Plakat mit Ente im Ölteppich (Foto: Steve McCurry, 1992)

Im Eifer des Gefechts hat fast niemand beachtet, auf welche Weise die Benetton-Bilder mit dem Text darauf, dem Slogan »United Colors of Benetton«, korrespondieren. Eins der ersten Plakate dieser Reihe zeigte Anfang der 90er Jahre drei junge Frauengesichter: ein europäisches, ein afrikanisches und ein asiatisches. Die "Vereinigten Farben von Benetton" waren also die Farben aller Völker dieser Welt. Das kann man als Botschaft der Menschenrechte lesen, aber auch als Botschaft der Globalisierung. Eins der nächsten auffälligen Motive war das Bild eines Neugeborenen auf den Händen der Hebamme oder des Arztes, noch ganz von rotem Blut verschmiert. Dann die Uniform des toten Soldaten; auch sie ist von Blut durchtränkt. Der Text »United Colors...« verweist auf das Rot des Blutes, die Farbe des Lebens, die in Erscheinung tritt, wo das Leben geschenkt und wo es geraubt wurde. Auf jeden Fall sind die Farben das Positive, mit dem sich Benetton und seine farbigen Produkte identifizieren will. Das Bild der Ente im Ölteppich ist aber völlig schwarz, mit einigen hellen Lichtreflexen. Wo sind die Farben? Sie sind da: das Auge der Ente leuchtet noch in einem hellen Rot. Dieser kleine rote Punkt ist der letzte Rest des Lebens in einem schwarzen Meer; gleich wird er erlöschen. Doch ehe er erlischt, haben Benetton und Steve McCurry mit ihrem Plakat und dem Slogan den Kontakt hergestellt zwischen dem bedrohten Leben und den Herzen der Betrachter. Dass solche Effekte nicht in Museen eingesperrt bleiben, sondern auf offener Straße stattfinden, dafür steht Benetton. Weiter so!

Jens Jürgen Korff (2000)

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