Journalisten als Werbetexter?
Drei Gründe, die dagegen sprechen
1. Sie
können es nicht so gut.
2. Sie wollen es
eigentlich gar nicht.
3.
Außerdem können sie nicht rechnen.
1. Sie können es nicht so gut.
Journalisten sind Leser gewohnt, die ihre Texte gekauft
haben und sich deshalb notfalls auch
gezwungenermaßen durch die Texte quälen.
Schließlich muss sich die Investition lohnen, die Information
muss doch irgendwie aus dem Artikel in den Kopf des Lesers zu kriegen
sein. Weil Journalisten mit solchen Lesern rechnen können,
brauchen sie sich nicht so viel Mühe damit zu geben, Texte zu
schreiben, die angenehm leicht zu lesen sind. Werbetexte
haben (den Leser) nichts gekostet. Es kostet mehr, sie
zu lesen als sie wegzuwerfen. Dagegen kommt man als Werbetexter nur mit
einem Text an, der schon auf den ersten Blick genau das Thema trifft,
nach dem der Leser gesucht hat, und dann noch Spaß macht beim
Lesen. Wann haben Sie auf der Politik- oder Wirtschaftsseite Ihrer
Zeitung zum letzten Mal so einen Text gesehen? So schreiben nur ganz
wenige Journalisten, aber gut die Hälfte der professionellen,
erfahrenen Werbetexter.
2. Sie wollen es eigentlich gar nicht.
Viele Journalisten glauben, dass sie die heilige
Pressefreiheit verkörpern, und dass Werbetexter
Huren seien. Journalisten neigen ein
wenig zum Hochmut; Werbetexter dagegen sind Dienstleister. Journalisten
sind oft unhöflich und aufdringlich, weil sie in einer
unhöflichen und aufdringlichen Branche arbeiten. Werbetexter
sind in der Regel so höflich und zurückhaltend, wie
es unter Geschäftspartnern üblich ist. Glauben Sie
wirklich, dass ein Journalist gut arbeitet, wenn er etwas macht, was er
eigentlich für Hurerei hält?
3. Außerdem können sie
nicht rechnen.
Es ist unglaublich, wie viele Journalisten mit Zahlen umgehen. Prozentrechnung?
Bruchrechnung? Dreisatz? Da fangen die Fehlanzeigen schon an; von
Statistik und Geometrie ganz zu schweigen. Viele Journalisten scheinen
regelrechte An-Algebraiker zu sein und machen es sich z. B. niemals
bewusst, dass Prozentangaben stets ein Verhältnis bezeichnen;
dass sie nur Sinn machen, wenn man weiß: x Prozent von was?
Sie wissen es nicht, für sie ist Prozent eine
Maßeinheit wie Zentimeter. Zwei Beispiele:
- FAZ 30.11.2005 (dort der Absatz: "Fast 80 Prozent...")
- tagesschau.de 23.9.2002
Wollen Sie solche Leute wirklich über Ihre wirtschaftlichen oder technischen Themen schreiben lassen?
Ein Beleg zu Punkt 3:
Die Vorab-Berichte zur Pisa-Studie, die seit vergangenen Sonntag
über Zeitungen, Radios und Fernseher verbreitet werden,
basieren auf einer Ente. Angeblich, so las man allerorten, entscheide
sie soziale Herkunft in Deutschland »immer
stärker« über den Schulerfolg eines Kindes;
die Chancenungleichheit habe seit der ersten Pisa-Studie noch
zugenommen. In die Welt gesetzt wurde diese Fehlinformation von der
Deutschen Presse-Agentur (dpa). Offensichtlich haben ein dpa-Redakteur
oder sein Informant Statistiken falsch interpretiert (Pisa
lässt grüßen!) und ihre Interpretation dann
ungeprüft verbreitet.
Thomas Kerstan: Ohne Fleiß kein Preis… Die Zeit
3.11.2005, S. 6
Link dazu: Die
Welt 1.11.2005
Jens Jürgen Korff (2004)
Gerd Bosbach und ich haben 2011 mit dem Buch "Lügen mit Zahlen" versucht, diesem Missstand abzuhelfen, und ich habe tatsächlich den Eindruck, dass sich seitdem die mathematische Bildung der Journalistinnen und -ten tendenziell verbessert hat. Das ist zunächst nur eine zeitliche Korrelation. Ob das Buch die Ursache war, kann niemand sagen. (Ergänzt 2020)