Trendscouts Geheimnisse

Cassius Karde, mein Trendscout, grinste vergnügt, als er vorgestern aus Rheda-Wiedenbrück zurückkehrte. »Mein weithin bekannter Riecher hat mich nicht getrogen: Die verrücktesten Trends sind keine Downtown-Kids, sondern Mädels vom Lande. Hast du schon mal was vom westfälischen Knallerbsenlauf gehört?«
»Ach komm, verschone mich mit Dorfkirmesdisziplinen! Ich glaub eher, du hastn Hang zum Landgasthofpersonal!«

»Nein, nein, die Sache hat das Zeug zum Elitejugendsport und ist eins zu eins auf Großstädte übertragbar. Das ist kein Kuhfladenroulette oder sowas.«

Karde wurde ernst: »Der Knallerbsenlauf findet am frühen Sonntag Morgen statt. Du brauchst dazu eine Wohnstraße, in der jedes Haus einen Vorgarten hat. Ziel ist es, ein möglichst langes Straßenstück zu durchwandern, ohne dabei ein einziges Mal den Bürgersteig oder die Fahrbahn zu betreten. Das heißt: Du musst durch die Vorgärten, über hundert Hecken, Mäuerchen, Maschendrahtzäune, durch all die Knallerbsensträucher und Runzel­blättrigen Schneebälle hindurch.«

»Wie: ohne jemals die Straße zu betreten?«

»Korrekt.«

»Das geht doch gar nicht; du spinnst!«

»Das geht! Ich habs ausprobiert - allerdings nachts, da hab ichs nur durch vier Vorgärten geschafft, dann wars mir zu unheimlich geworden. Im Dunkeln ists Scheiße, dann ists zu gefährlich, denn das Gelände ist verflucht unübersichtlich. Du trampelst den Leuten die Maßliebchen platt, und immer geht dir die Muffe, dass du Lärm machst und der Hausherr mit der Schrotflinte rauskommt, um die Integrität seiner Gartenzwerge zu verteidigen.«

»Mann, Karde, du verkohlst mich!«

»Nein! Glaub mir, das ist ein Kicksport wie keiner. Einfache Grundidee, schnell zu begreifen, im Selbststudium erlernbar, illegal, aber nicht wirklich böse und Thrill hoch drei. In Rheda gibt's einen informellen Knallerbsenclub mit eigener Meisterschaft. Die haben mehrere Straßen passender Länge ausbaldowert, wo die Schikanen - Maschendrahtzäune, dichte Hecken, tiefer gelegte Garageneinfahrten und so weiter - auf beiden Seiten etwa gleichmäßig verteilt sind. Da veranstalten die dann Wettrennen, wo auf beiden Straßenseiten gleichzeitig je einer los läuft, oder auch vier gleichzeitig; auf jeder Seite zwei in Gegenrichtung, die sich dann - kleiner Zusatz-Nervenkitzel - in der Mitte treffen.« »Warst du bei so was dabei?«

»Nee, leider nicht. Die ham mir nicht gesagt, wann und wo; das ist alles konspirativ, die Polizei darf natürlich nix davon mitkriegen. Aber ich war in der einschlägigen Kneipe, wo die Jungs und Mädels sich treffen, und habs mir erzählen lassen. Du kennst ja meine Methoden, wie ich die Leute ans Reden kriege. Sind übrigens tatsächlich etliche Mädels darunter.«

»Jojo, hab ich mir schon gedacht, alter Schlawiner.« Karde grinste ein bisschen verlegen. »Na ja...«

»Aber einen Beweis für die Existenz deines - wie soll das heißen? Maschendraht...?«

»Knallerbsenlauf.«

»Einen Beweis hast du nicht mitgebracht, scheint mir...«

»Mhm. Was schwebt dir da vor?«

»Tja, ich geb dir noch Spesen für zwei Tage bei deiner westfälischen Süßen, und dann lieferst du mir Fotos. Scharfe Fotos! Die Erfolgsprämie gibts erst, wenn ich die Fotos hab oder einen Polizeibericht.«

Nächstes Jahr an dieser Stelle

Gefängnisreport, I. Teil: Was Cassius Karde in der Ausnüchterungszelle von Rheda-Wiedenbrück widerfuhr...

Jens Jürgen Korff (2001)

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