Ein Wort wirkt länger als tausend Bilder

Werbetexter Jens Jürgen Korff widerspricht elf beliebten Dogmen über Werbung und Internet (November 2008) - korffTEXT, Tel. 0521/ 3043 6988 - jjk@korfftext.de

Die Macht der Worte: Würde ich die Dogmen hier im Wortlaut als Überschriften abbilden, würden Sie sich vor allem eines merken: die Dogmen. Deshalb habe ich für die Überschrift jedes Dogma in sein Gegenteil übersetzt.

1. Die Hälfte des Budgets geht zum Fenster hinaus? Morgen weiß ich, welche Hälfte es war.

Henry Ford soll sinngemäß gesagt haben: »Ich weiß, dass ich die Hälfte meines Werbebudgets zum Fenster hinauswerfe. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.«
Das änderte sich schon in den 1920er Jahren. Der amerikanische Werbetexter Claude C. Hopkins entwickelte damals Methoden, mit denen man genau testen konnte, welche Anzeige, welche Headline funktioniert und welche nicht. Das machte er mit Anzeigen, die er in verschiedenen Versionen schaltete und jeweils mit einem starken Response-Anreiz versah. Wer die Anzeige gelesen hatte, konnte einen Coupon ausschneiden, zurückschicken und bekam dafür ein attraktives Geschenk, meist eine Produktprobe. Über die dokumentierten Rückläufe stellte Hopkins fest, welche Anzeigen aufgefallen waren und welche nicht. Hopkins beschrieb die Methode in seinem Buch »Scientific Advertising« (1928).
Diese Technik ist heute immer noch anwendbar. Zum Beispiel bei Werbebriefen (Mailings), bei Werbe-E-Mails und bei Google-AdWords-Anzeigen (Suchwort-Anzeigen) im Internet.

2. Bei Headlines kommt es auf Details und Studien an.

Viele meinen: »Bei guten Headlines kommt es vor allem auf geniale Ideen und das Bauchgefühl an.« Sie glauben, dass ein guter Werbetexter nur ein, zwei Gläser guten Wein zu trinken braucht und dann gute Headlines aus dem Ärmel schüttelt.
Das ist nur selten der Fall. Die meisten guten Headlines entstehen aufgrund umfangreicher Detailstudien. Der britische Werbetexter David Ogilvy brachte in seinem Buch »Ogilvy über Werbung« (1983) das Beispiel einer Rolls-Royce-Anzeige, die viel Aufsehen bei potenziellen Käufern erregt hatte. Sie hatte die Headline: »Bei 100 km/h kommt das lauteste Geräusch in diesem neuen Rolls-Royce von der elektrischen Uhr.« Ogilvy hatte diese Aussage erst nach wochenlangem Studium von Unterlagen gefunden.
Die Headline spitzt die zentrale Aussage, das zentrale Produktversprechen zu. Um zu wissen, welches von vielen möglichen Produktversprechen im Rahmen der gewählten Positionierung am besten das Interesse der gewählten Zielgruppe weckt und welche Schlüsselwörter die Menschen in der Zielgruppe aufmerken lassen, sind Studien nötig – eine Form von Marktforschung, die aber nicht unbedingt ein Mafo-Unternehmen machen muss.

3. Keine Werbebriefe liest keiner.

»Werbebriefe liest keiner.« Der Satz kommt bei Diskussionen über Werbung so sicher wie das Amen in der Kirche. Er stimmt aber nicht, denn in Wirklichkeit hat jeder schon mal einen Werbebrief gelesen. Man gibt es vielleicht ungern zu… Gute Werbebriefe werden eben doch gelesen!
Die Response-Quote von Mailings liegt unter 0,5 Prozent? Das stimmt oft, aber nicht immer. In den 1990er Jahren bewarb Hipp sein neues Produkt, den »Märchenteller« für Drei- bis Vierjährige, mit einem Mailing. Hipp verschickte rollierend bundesweit Abholgutscheine an 560.000 Haushalte. 64% der angeschriebenen Mütter nahmen das Angebot an und holten sich ein Musterpäckchen bei der Post ab.

Manfred Dorfer: Sechs erfolgreiche crossmediale Kampagnen. In: Leitfaden Dialogmarketing, hg. v. T. Schwarz. Zitiert bei G. Braun: Rsponsquoten von Werbebriefen erhöhen (2008)

4. Ein Wort wirkt länger als tausend Bilder.

»Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.« Mit dieser Behauptung pflegt man zu begründen, dass der größte Aufwand für eine Werbemaßnahme in Bild und Optik gesteckt wird. Diese Rechnung geht aber meist nicht auf, aus folgenden Gründen:

Im Internet reagieren die meisten Besucher erwiesenermaßen stärker auf den Text als auf die Bilder. Vor allem dann, wenn sie mit einer konkreten Suchwortfrage über Google auf eine Webseite kommen, suchen sie dort nach ihrem Suchwort.

Bilder werden schneller aufgenommen als Text, weil das Gehirn Text erst aus den optischen Buchstaben ins Akustische (in gehörte Sprache) übersetzen muss. Bilder werden auch schneller wieder vergessen. Text (z. B. Slogans) kommt langsamer und wirkt länger, weil

  • Slogans besser den Weg ins Gespräch finden, da sie aus gesprochener Sprache bestehen,

  • man Slogans einfacher wiederholen, nachsprechen kann als Bilder nachzumalen oder zu beschreiben,

  • Slogans eigene Bilder im Kopf auslösen, und eigene Bilder merkt man sich besser als fremde Bilder (was leider auch für falsche eigene Bilder gilt).

Die Menschen sind Augentiere, ja, aber sie sind genau so stark sprechende und damit zuhörende Tiere. Text aber ist verschlüsselte Sprache.

5. Über uns und unsere Produkte ist noch so viel zu sagen.

»Über uns und unsere Produkte ist schon alles gesagt.« Diese Klage hört der Texter oft von seinen Kunden.
Meine Kollegin Susanne Vollrath hat für die Fachzeitschrift profil floral PRAXIS über 1700 Ideen für Blumengestecke mit über 1700 individuellen, ansprechenden Texten versehen. Jeder davon stellt eine besondere Eigenschaft des einen Gestecks, der einen Idee heraus.
Dafür braucht man viel Zeit und viele Informationen. Dann geht es.

6. Unser Produkt ist so spannend, da kann man einfach keine Informationen dran anknüpfen.

»Unser Produkt ist so nüchtern, da kann man einfach keine Emotionen dran anknüpfen.« Auch diese Kundenklage hört der Texter oft.
Doch kein Produkt ist so flach, dass man keine Geschichte daraus machen kann. Wenn es keine Geschichte hinter dem Produkt gäbe, dann wäre es nicht entstanden. Und wenn es keine Emotionen um das Produkt gäbe, dann würde es niemals gekauft. Denn wir kaufen nur Dinge, von denen wir uns die Erfüllung eines Wunsches versprechen. Und Wünsche sind immer Emotionen. Jedes Produkt, das gekauft wird, birgt also Emotionen in sich. Der Texter muss sie nur erst finden. Dafür braucht er Zeit und Informationen.
Meine Kollegin Susanne Vollrath hat es zum Beispiel geschafft, einen spannenden Katalog zu konzipieren und zu texten, in dem es nur um Blumensteckschaum geht – einen der profansten, unauffälligsten und nebensächlichsten Gegenstände, die man sich vorstellen kann.

7. Die Leute wollen Belehrungen.

»Die Leute wollen keine Belehrungen«, heißt es. Nein? Warum gehen dann so viele auf die Wikipedia? Warum haben so viele Menschen Lexika und Atlanten? Warum kaufen sie so viele Ratgeberbücher?
Weil sie belehrt werden wollen. Sie wollen Hilfe beim Schlauerwerden. Sie wollen mehr wissen.
Also geben wir Ihnen, was sie wollen! Geben wir Ihnen ausführliche Produktbeschreibungen, Erfolgsberichte, Glossare, Antworten auf häufig gestellte Fragen.

8. So viele Gedanken muss sich einer vorher machen (damit die anderen es später leichter haben).

Warum denkt sich der Texter so viel bei seinem Text? »Das versteht doch nachher eh keiner«, heißt es dann oft.
Wenn Sie einen guten Krimi sehen, verstehen Sie auch nicht, wie er gemacht wurde. Aber Sie merken, wie er wirkt: Er ist spannend. Wenn Sie einen guten Text lesen, verstehen Sie nicht, wie er gemacht wurde. Aber Sie merken, wie er wirkt: Er ist spannend; er gibt Ihnen ein Aha-Erlebnis; er lässt bei Ihnen einen Wunsch entstehen, den der Werbetreibende vielleicht befriedigen kann; Sie überlegen, ob Sie mal anrufen sollen...
Wenn Sie einen schlechten Text lesen, passiert nichts dergleichen, und deshalb legen Sie ihn schnell beiseite. Damit all diese Dinge passieren, muss der Texter genau so viel nachdenken, wie Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Schauspieler über ihren Krimi nachgedacht haben.

9. Die Leute lesen im Internet lange Texte.

»Die Leute lesen im Internet keine langen Texte«, heißt es oft. Nein? Warum lesen (bzw. überfliegen) sie dann meterlange Wikipedia-Artikel? Meterlange Forendiskussionen und Weblogs? Ausführliche Zeitungsartikel mit Dutzenden von Kommentaren darunter (siehe z. B. www.sueddeutsche.de )?
Richtig ist: Bevor sie so etwas lesen (bzw. überfliegen), haben sie sich dafür entschieden, das zu tun. Sie haben sich dafür entschieden, weil sie das Gefühl hatten: Da steht etwas, das wichtig oder interessant für mich ist. Diese Entscheidung fällen sie schnell, aufgrund eines kurzen Textes, z. B. eines verlinkten Anreißers auf der Startseite oder einer Schlagzeile mit Anreißer am Anfang der Webseite.

10. Textlinks sind gut, weil sie Wege in den Cyberspace öffnen.

Wenn der Webtexter die Wörter einer Webseite mit passenden weiterführenden Seiten verlinken will, dann heißt es oft: »Textlinks sind schlecht – da verlieren sich die Besucher im Cyberspace.«
Das Internet ist ein Hypertext, ein interaktiver Gesamttext. Im Internet bestimmt der Besucher darüber, was er in welcher Reihenfolge sehen, überfliegen, lesen will. Es ist das eigentliche Wesen, der eigentliche Vorteil des Internets gegenüber gedruckten Werken, dass der Besucher dort mit einem Klick zum nächsten Inhalt weiterspringen kann.
Dieses Wesen, diesen Vorteil sollten wir ausnutzen und nicht verstecken. Verstecken bringt nichts, denn ein Klick auf »Zurück« genügt, und der Besucher ist zurück bei Google, wo er nach Herzenslust durch den Cyberspace jagen kann.

11. Externe Links sind gut, weil die Leute zu meiner Website zurückkehren.

Soll man auf seiner Website Links zu anderen Websites anbieten?
Nein, sagen viele, dann verlassen die Besucher ja meine Website.
Ja, sage ich. Wenn es draußen Webseiten gibt, die Ihre Argumentation unterstützen: Verlinken Sie darauf. Viele Besucher quittieren das mit steigendem Vertrauen und kehren später freiwillig zu Ihrer Website zurück. Und wenn sie das tun, sind sie auf guten Wege, zum aktiven Interessenten (»Lead«) zu konvertieren.


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